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Coolman aktualisiert.
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8. Juli 2006 um 18:34 Uhr #634187
ich stehe über der ganzen sache…
102
8. Juli 2006 um 18:37 Uhr #634188Quote:Original von Ventil
ich stehe über der ganzen sache…Wie schauts von da oben aus?
pompa pneumatica
8. Juli 2006 um 20:00 Uhr #6341898. Juli 2006 um 21:13 Uhr #634190stehe, bin nicht oben, veloce stanco.
ich denke, was hier viele nicht verstehen, ist die „grundeinstellung“ der radprofis, was das doping betrifft. es gibt etliche medikamente die auf der dopingliste stehen, diese aber nicht nachweisbar sind, pur und oder auch in der richtigen dosierung. diese produkte nützen alle fahrer an der tour de france zu ihrem „eigenen“ vorteil aus. das ergibt eine art „grundbasis“, um überhaupt im feld mitfahren zu können. diese „grundbasis“ bereitet keinem ein schlechtes gewissen, weil sie wissen, dass es alle anderen auch praktizieren. wissen sie nur zu gut, bei all den teamwechsel die sie schon hatten.
diese „grundbasis“ ist das eine, welche allen fahrern in allen teams verabreicht wird. das andere ist dann; der kontakt von fahrern zu anderen „ärzten“ ausserhalb dem eigenen teamarzt. geld spielt dann da eine rolle, aber auch risikobereitschaft. kommt immer auf das ganze umfeld an, wie gut man sich verstecken kann hinter der ganzen sache, wie sauber „der grieche“ in der öffentlichkeit ist und war !
dass ist zum beispiel ein „problem“ der französischen teams. wer hier wirklich noch glaubt, dass die franzosen eine schlechtere nachwusförderung im radsport haben, der ist mir ein kraftausdruck wert !
102
8. Juli 2006 um 21:28 Uhr #634191Quote:Original von Ventil
diese „grundbasis“ bereitet keinem ein schlechtes gewissen, weil sie wissen, dass es alle anderen auch praktizieren.völlig d’accore!
wäre es aber möglich, dass unter den „spitzenfahrern“ ein ähnlicher „konsens“ besteht, der die „grundbasis“ deutlich überschreitet?!?9. Juli 2006 um 7:07 Uhr #634192opera
denke, ja. mit sicherheit sogar.
102
9. Juli 2006 um 10:04 Uhr #634193zitat tango :
Es ist theoretisch möglich die Tour in der bisherigen Form durchzuführen. Das Ausradieren des Dopings würde nur zu einem niedrigeren Schnitt führen.
Und die schwankende Leistungsfähigkeit fände ich als Zuschauer sogar interessanter als die Seriensiege von Armstrong oder jetzt von Basso beim Giro.weisst du was ich denke ? du kannst es gar nicht wissen ob die tour de france „nackt“, aber wirklich nackt, also füdliblutt ohne ein einziges gramm doping wettkampfmässig zu überstehen ist. kannst du nicht sowas, unmöglich weil es eben noch nie praktiziert wurde. die fahrer hätten keine ahnung auf was sie sich da einlassen. gratis macht das sowieso keiner. und wo es um viel geld und ruhm geht, wird auch automatisch hart an der grenze der körperlichen leistungsfähigkeit gekämpf. und da liegt das problem des übels. genau wenn eine solche konstellation enstehen würde, müsste man davon ausgehen das die fahrer noch mehr ihre gesundheit aufs spiel setzen würde als jetzt im moment, wo sie von den ärzten, der eine besser, der andere schlechter verpflegt, beraten und präpariert werden.
ich denke die leistungsschankungen würden so gross sein, dass die tour de france nicht mehr als profiveranstaltung angesehen werden könnte, sondern eher einem hobbyrennen gleichen würde.die lösung ? weg vom heuchlischen doping-image und hin zum offenen sportwissenschaft-image.
selbst amore e vita mit dem segen des papstes kam in die dopingschlagzeilen.
muss man dazu noch was sagen ? ich denke, nein.
102
9. Juli 2006 um 10:15 Uhr #634194Schön und gut. Was jetzt betrieben wird, hat mit Sportwissenschaft wenig zu tun, eher mit Alchemie. Langzeitfolgen von Epo- und Medikamentenmissbrauch und Eigenblutdoping sind nicht bekannt.
9. Juli 2006 um 10:40 Uhr #634195Quote:selbst amore e vita mit dem segen des papstes kam in die dopingschlagzeilenhaha…
1564 verurteilte die Inquisition den Arzt Andreas Vesalius, den Begründer der neueren Anatomie, zum Tod, weil er eine Leiche zerlegt und festgestellt hatte, daß dem Mann die Rippe, aus der Eva stamme, gar nicht fehle. (Karlheinz Deschner)
9. Juli 2006 um 10:44 Uhr #634196EPO ist ein zugelassenes Medikament, also gründlich getestet worden. von Langzeitfolgen bei nicht-exzessiven Gebrauch nichts bekannt.
Eigenblutdoping wurde kürzlich von Experten als ungefährlich eingestuft.
Fuentes hat nämlich nicht gegen die jetzt geltenden spanischen Gesetze verstossen und kann nur wegen „Gefährdung der Volksgesundheit“ angeklagt werden.
Daraufhin wurden die obengenannten Experten zu Rate gezogen.9. Juli 2006 um 10:46 Uhr #634197Dynepo
From Wikipedia, the free encyclopediaDynepo is a form of pharmaceutical erythropoietin (EPO) under development as a pharmaceutical product by Shire Pharmaceuticals. The company expects to launch the product in Europe in 2006, although patents held by the American biotechnology company Amgen, Inc. may preclude its sale in the United States.
EPO is a natural human hormone that stimulates formation of red blood cells. Pharmaceutical EPO, made via recombinant DNA technology is used to treat anemia, but it has also been used by doping athletes to improve their aerobic performance and stamina.
Unlike existing forms of pharmaceutical EPO manufactured in cultured animal cells, Dynepo is to be made in cultured human cells. It is therefore expected to have an authentic human form of sialic acid and other oligosaccharide residues. This characteristic may make it a longer-acting product than existing brands, but clinical data have not yet been made public. It should also make Dynepo undetectable in the existing urine test for EPO used to detect doping by athletes.
9. Juli 2006 um 10:54 Uhr #634198Ja eine neue Waffe. Prinzipiell kann man alles nachweisbar machen, denke ich. Wenn man z.B. bestimmte Isotopenverhältnisse „herstellt“ als Marker, die natürlich so nicht vorkommen. Das Problem dabei sind die Kosten und auch, dass die Medikamente nicht primär zum Missbrauch hergestellt werden. Ich glaube aber, dass man die Hersteller dennoch dazu zwingen könnte, da sie am Missbrauch genauso verdienen, wenn auch nicht beabsichtig. Das unterstelle ich mal zum Positiven.
9. Juli 2006 um 11:11 Uhr #634199Wie wärs mit ner Verpflichtung an die Pharmaindustrie jedes Medikament zu markieren, dass sie auf den Markt bringen wollen. Diese Marker werden dann den Laboren mitgeteilt.
9. Juli 2006 um 12:41 Uhr #634200@saubermann
Hört sich gut an. Aber es wird dann wohl auf Stoff aus Ländern zurückgegriffen, welche sich nicht an die Vereinbarung halten oder auf Mittel, die illegal hergestellt werden. In der Bodybuilding-Szene bestellt man wohl auch im Ostblock oder in Fernost.9. Juli 2006 um 12:55 Uhr #634201Quote:Original von Saubermann
Wie wärs mit ner Verpflichtung an die Pharmaindustrie jedes Medikament zu markieren, dass sie auf den Markt bringen wollen. Diese Marker werden dann den Laboren mitgeteilt.da geht es nicht nur um „ostblock“ – gibt’s den noch? – oder fernost. es gibt in der „zivilisierten westlichen welt“ ausreichend illegale labore, die drogen und auch doping herstellen! und hier ist dann wirklich die staatsgewalt gefordert…
9. Juli 2006 um 15:26 Uhr #634202Jan Ullrich und sein Betreuer Rudy Pevenage rutschen weiter in den Sumpf der spanischen Doping-Affäre. T-Mobile-Manager Olaf Ludwig hat inzwischen den bis Jahresende befristeten Vertrag mit Pevenage beendet: „Er hat die Kündigung.“ Angeblich hat der 52-Jährige pro Saison rund 300 000 Euro verdient.
Der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ zitieren aus den Ermittlungsakten der Guardia Civil weitere belastende Details zur Doping-Affäre. In einem abgehörten, Pevenage zugeschriebenen Telefonat mit dem Mediziner Eufemiano Fuentes, der den Handel mit manipuliertem Blut geleitet haben soll, bedankt sich der Belgier für die „Lieferung“.
Die Handynummer Pevenages, der Ullrich seit 1995 als väterlicher Freund begleitet, ist bei mehreren, mitgeschnittenen Telefonaten registriert. Die von Fuentes benutzten Codes „Jan“, „Rudis Sohn“ und „Dritte Person“ werden Ullrich zugeschrieben.
Nur noch Frage des Geldes?
Bei Ullrich, der vor dem Tour-Start wegen seiner Verwicklungen suspendiert wurde, ist der vorläufige Schlussstrich offensichtlich schwieriger zu ziehen. In den Verhandlungen der Anwälte beider Parteien geht es wahrscheinlich nur noch um die Regelung der Bezüge. Für 2006 stünde Ullrich noch etwa die geschätzte Summe von mindestens einer Million Euro zu.
Auch wenn sich Ullrich weiter emotional mit seiner Mannschaft stark verbunden gibt („Ich hatte Tränen in den Augen“), erscheint eine Rückkehr des Ausnahmesportlers als Fahrer im Team unmöglich. Ehemalige Mannschafts-Kollegen und auch der öffentlich bereuende Schotte David Millar, dessen zweijährige Doping-Sperre eine Woche vor dem Tour-Start auslief, rieten dem Wahl-Schweizer dringend, „reinen Tisch“ zu machen.
Kein „Rentenvertrag“ mehr?
Kommunikations-Leiter Christian Frommert bestätigte, dass auch eine Vereinbarung, die Ullrich eine Weiterbeschäftigung im Konzern nach dem Ende seiner sportlichen Karriere garantierte, auf dem Prüfstand stehe. Zum weiter schwebenden Verfahren gibt es bis dato weder von T-Mobile, noch von den Ullrich- oder Pevenage-Anwälten offizielle Stellungnahmen zu den Vorwürfen, die durch die Einsicht in die Polizeiakten immer konkreter und schwerwiegender werden.
Ullrich-Manager Wolfgang Strohband sagt weiter: „Uns liegt nichts Offizielles vor“. Zeitungs-Journalisten sind da schon viel weiter gekommen.
Telefonat nach Zeitfahr-Sieg
Ein von der Guardia Civil dokumentiertes Telefonat ist vom 18. Mai datiert, als Ullrich beim Giro d’Italia überraschend das Zeitfahren in Pontedera gewann. Pevenage teilte Fuentes verschlüsselt mit“: Die ‚dritte Person‘ hat ein Zeitfahren gewonnen“. Zwei Tage später bittet Pevenage „um mehr“.
Im Aktenzeichen CO.PP. 4293/06 kommt in dem grenzüberschreitenden Kriminal-Puzzle auch die Mitteilung, offensichtlich von Pevenage an Fuentes, vor: „Wir müssen noch über den Termin im Juni reden.“ Ullrich gewann im Juni seine Tour-Generalprobe Tour de Suisse und glänzte dabei wieder mit einem überzeugenden Zeitfahren.
Das Tandem Ullrich/Pevenage soll sich mit manipulierten Blutkonserven, Wachstumshormonen und dem männlichen Hormon Testosteron illegal versorgt haben.
Jaksche gefilmt
Auch Jörg Jaksche (Codename „Bella Jorg“) wurde als Fuentes-Kunde erneut ins Spiel gebracht. Über den Ansbacher Radprofi existiert laut Polizeiakten eine Fernsehaufnahme über einen Besuch bei Fuentes vom 14. Mai. Jaksche soll dabei Blut abgezapft worden sein.
In einem Interview vor der Tour hatte Jaksche erklärt: „Ich hatte keine Verbindung zu Fuentes“ und es sei „unmöglich, dass von mir Aufnahmen existieren“. Vor dem Tour-Start verließ der für die Tour vorgesehene Arzt-Sohn Straßburg mit einer Magen- und Darm-Infektion.
pompa pneumatica
9. Juli 2006 um 17:31 Uhr #634203Radiccio wurde heute nun rückwürgend ausgestossen. Sein Sproß darf derweil abseits noch verweilen.
9. Juli 2006 um 17:41 Uhr #634204Der komplette Spiegel Artikel von morgen
Hier der gesamte Artikel der morgen im Spiegel erscheint:
DER SPIEGEL als E-Paper
Heft 28/2006RADRENNEN
Deckname Bella
Seit Jahren gilt Spanien als Paradies für dopingwillige Sportler. Ein 500 Seiten starker Untersuchungsbericht beschreibt nun das Netzwerk um den Madrider Sportarzt Eufemiano Fuentes. Die Fahnder stießen auf einen zweiten deutschen Profi neben Jan Ullrich: den Ansbacher Jörg Jaksche.
Wie viele Wohn- und Geschäftshäuser im gepflegten Madrider Stadtteil Chamberí wird auch das rotgeklinkerte Gebäude in der Calle de Zurbano, 92, tagsüber ständig bewacht. Der Hausmeister, der in dem geräumigen Treppenhaus sitzt, mustert fremde Besucher misstrauisch. Fragen nach den Mietern, etwa nach dem Hämatologen José Luis Merino Batres, wehrt er brüsk ab.
Die Ermittler der Guardia Civil, die im Frühjahr erschienen und die sich für die Besucher des Labors im Hochparterre interessierten, wurde der Portero indes nicht ganz so schnell los. Die Fahnder von der Sondereinheit UCO installierten unter seinem Tisch und über der vergitterten Eingangstür Kameras. Dann verpflichteten sie ihn zum Schweigen.
Etwas einfacher gestaltete sich die Observation eines schmucklosen, siebenstöckigen Apartmenthauses in der Calle Alonso Cano, 53. Dort, nur etwa 300 Meter von der Praxis des Blutspezialisten entfernt, interessierte die Polizei eine Wohnung des Arztes Eufemiano Fuentes. Die Nachbarn kennen sich kaum, die Fluktuation in dem Haus ist derart groß, dass eine Immobilienfirma ein festes Werbebanner an der Fassade angebracht hat:
„viviendas en alquiler“ – Wohnungen zu vermieten.
Wochenlang überwachten die Beamten beide Objekte, Ende Mai, während des Giro d’Italia, schlugen sie zu: Merino Batres und Fuentes wurden verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Drahtzieher im größten Dopingskandal Spaniens zu sein; einer Affäre, die sich weit über die Landesgrenzen hinaus ausgedehnt hat – und in die, nach allem, was der über 500 Seiten starke Untersuchungsbericht hergibt, Deutschlands Radidol Jan Ullrich tief verstrickt ist.
Die Polizei stellte allein über hundert Blutbeutel à 450 Milliliter sicher, dazu Wachstumshormon, Anabolika, Epo, eben das komplette Horrorsortiment des Leistungssports. Für etwa 200 Athleten, da ist sich die Madrider Staatsanwaltschaft sicher, verbargen sich hinter den beiden unscheinbaren Adressen im Zentrum der spanischen Hauptstadt so etwas wie die Katalysatoren ihrer Karriere: Die heimlich aufgenommenen Fotos gelten in dem Verfahren wegen „Angriffs auf die öffentliche Gesundheit“ als bedeutende Beweismittel.
58 Radprofis werden in den Ermittlungsakten belastet, 9 von ihnen erhielten von ihrem Team für die Tour de France ein Startverbot, so auch die T-Mobile-Stars Ullrich und Oscar Sevilla. Noch ist keine Anklage erhoben oder gar ein Urteil gefällt. Klar scheint aber, dass die „Operación Puerto“ („Operation Bergpass“) der spanischen Polizei einer Röntgenaufnahme gleich die geheimen Strukturen des internationalen Dopingbetrugs sichtbar gemacht hat. Sie gibt Auskunft, wie sich Spitzenathleten eines Netzwerks aus Medizinern, Betreuern und Medikamentendealern bedienen.
Als Betrug würde der Hauptbeschuldigte, Eufemiano Fuentes, 51, sein Wirken freilich niemals bezeichnen. Vergangene Woche gab der Mediziner, der gegen Hinterlegung von 120 000 Euro Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden war, eine Probe seines Verständnisses von fairem Sport ab. In der populären Radio-Talkrunde „El Larguero“ („die Torlatte“), die täglich um Mitternacht ausgestrahlt wird, stellte er sich als Ehrenmann dar, dem nichts wichtiger sei als die Gesundheit seiner Patienten. „Es gibt kein Delikt, weder gegen die öffentliche noch die private Gesundheit“, so lautet die Verteidigungsstrategie.
Rückübertragung eigenen Blutes sieht Fuentes nämlich als eine therapeutische Maßnahme für den geschundenen Athletenkörper. Falsch ist nicht die Behandlung, falsch sind für ihn die Dopingregeln. Im Kern steckt dahinter eine einfache Denkweise: Probiert wird alles, was mehr Leistung verspricht. Und erlaubt ist alles, was bei Dopingtests nicht nachzuweisen ist.
Fuentes bediente sich deshalb einer ausgeklügelten Geheim- und Zeichensprache. In den Medikationslisten dokumentiert nach Ansicht der Guardia Civil ein Stern die Verabreichung von Wachstumshormon, ein schwarzer Punkt steht für 1000 Einheiten Erythropoietin (Epo), ein schwarzer Kringel für Anabolika.
Während der wochenlangen Observation staunten die Ermittler, mit wie viel Phantasie der Sportarzt und seine Mitwisser zu Werke gingen. Bei Autofahrten wählten sie bewusst Umwege, ständig wechselten die Verdächtigten die Mobiltelefone. Als Fuentes verhaftet wurde, fand die Polizei bei ihm sieben Telefonkarten und drei Handys. In den abgehörten Gesprächen vermieden die Compañeros Klarnamen. So brauchten die Kriminalisten eine Menge Geduld, um beispielsweise Jan Ullrich auf die Spur zu kommen.
Am 18. Mai war es so weit. Gegen 20.15 Uhr klingelte Fuentes‘ Telefon, Ullrichs väterlicher Freund Rudy Pevenage war in der Leitung. „Heute hat eine dritte Person gewonnen“, meldete der Anrufer zufrieden.
Ein Blick in die Ergebnisliste des Giro d’Italia decodierte diese „dritte Person“: Der Sieger des Einzelzeitfahrens am 18. Mai hieß Jan Ullrich.
Zwei Tage später, so geht es aus dem Bericht der Guardia Civil mit der Kennung CO.PP.4293/06 hervor, wurde Ullrich diese Dechiffrierung zum Verhängnis: Um 10.44 Uhr belauschten die Fahnder ein weiteres Telefonat mit Fuentes, in dem Pevenage erklärte, er habe „mit einer dritten Person im Bus geredet. Diese dritte Person ist interessiert, mehr zu haben, auch wenn es nur die Hälfte ist“. Die Ermittler sind davon überzeugt, dass Fuentes und Pevenage verabreden wollten, Ullrich mit einer weiteren Dosis konzentrierten Eigenbluts zu versorgen. Eine Annahme, die Pevenage und Ullrich entschieden bestreiten.
Die Indizien wiegen schwer. Eines der brisantesten Dokumente, von den Fahndern als Nummer 32 geführt, erwähnt einen „Jan“ viermal. Demnach hat „Jan“ 2970 Euro gezahlt, um mit Vino, Nino, Ignacio und PCH beliefert zu werden. Die Ermittler sind „nach Analyse der Dokumente und abgehörten Gespräche“ überzeugt, dass es sich um Tarnbegriffe für manipuliertes Blut, Wachstumshormon, das dem Insulin ähnliche Präparat IGF-1 sowie Testosterontabletten handelt.
Langjährige Wegbegleiter von Ullrich attestieren ihm Arglosigkeit. Sein Umfeld, mutmaßt ein enger Freund, habe ihm die angeblich so sichere Methode mit dem Eigenblut bestimmt eingeflüstert, „damit es diesmal mit dem Toursieg klappt“.
Vielleicht hat Ullrich aber auch nicht damit gerechnet, dass sein Arbeitgeber T-Mobile ihn fallen lässt. Der Sponsor reagierte nach Einsicht in das Ermittlungsdossier mit einem strikten Krisenmanagement – im Gegensatz zu 1999, als der SPIEGEL von Insidern Hinweise erhielt, dass im Team Telekom gedopt werde. Dezidiert beschrieb das Magazin Methoden der Leistungssteigerung, konnte aber keine gerichtsrelevanten Beweise vorlegen und musste eine juristische Niederlage hinnehmen.
Die Deutsche Telekom bemühte sich damals nicht um Aufklärung, sondern verurteilte etwa konkrete Berichte über Verbindungen der Radprofis zu dubiosen Sportärzten wie Michele Ferrari und Luigi Cecchini als haltlose Denunziation.
Vorige Woche wurde hingegen deutlich, wie sich in der Bonner Konzernzentrale die Zeiten geändert haben. Nachdem drei T-Mobile-Fahrer infolge von Zeitungsartikeln ihre Verbindung zu Ferrari zugeben mussten, verlangte der Sponsor, dass sich die Profis umgehend von diesem medizinischen Betreuer trennen.
Ähnlich konsequent handelten die T-Mobile-Manager, als Ullrichs Kontakt zu Fuentes bewiesen schien. Für ein Unternehmen, das pro Jahr geschätzte zwölf Millionen Euro in sein Radsportengagement pumpt, um sein Image zu verbessern, muss der spanische Doktor eine Unperson sein.
Der erste Dopingfall, mit dem Fuentes in Zusammenhang gebracht wurde, blieb noch in der Familie. Es war Mitte der Achtziger, und es betraf die Leichtathletin Cristina Pérez, seine Frau.
pompa pneumatica
9. Juli 2006 um 17:42 Uhr #634205Ein paar Jahre später fand Fuentes Kontakt zur Radsportszene, wurde Teamarzt bei diversen Profiställen, am Ende gar deren Trainings- und Wettkampfstratege. Dass sein Wirken ständig von Dopinggerüchten umweht war, schien den Medicus nicht zu stören: „Ich stand immer unter Verdacht, aber passiert ist nie etwas.“
Mehr noch: Je größer die Erfolge seiner Fahrer waren, desto sicherer fühlte sich Fuentes. Vor einem schweren Einzelzeitfahren der Spanien-Rundfahrt 1991 saß der Arzt im Flugzeug nach Mallorca. Auf dem Sitz neben sich hatte er eine Kühltasche verstaut. Zu mitreisenden Journalisten sagte Fuentes: „Hierin befindet sich der Schlüssel zum Sieg bei der Vuelta.“ Dazu passte, dass ein Profi seines damaligen Arbeitgebers Once nicht nur die harte Etappe, sondern auch die Rundfahrt gewann.
Gedämpft wurde die Karriere des Spezialdoktors im Frühjahr 2004. Der damalige Kelme-Profi Jesús Manzano packte in der Sportzeitung „As“ über die Dopingpraktiken in seinem Team aus, nachdem er bei einer Bluttransfusion beinahe ums Leben gekommen wäre. Die Nachforschungen gegen Fuentes, den damaligen Kelme-Mannschaftsarzt, wurden allerdings schnell eingestellt – aus Mangel an Beweisen.
Die Branche vergab, wie sie es gewohnheitsmäßig tut, Fuentes blieb ein gefragter Mann. Dass er sich mit seinen Praktiken zum Leistungsguru aufschwingen konnte, hat auch mit den laschen Gesetzen Spaniens zu tun, die erst dieser Tage verschärft werden. Außerdem existierte in dem Land für Betrüger bisher kaum öffentlicher Druck. Selbst eine investigativ arbeitende Zeitung wie „El País“, die jetzt bei der Aufdeckung der „Operation Bergpass“ ganz vorn ist, packte das Thema lange nur widerwillig an.
So konnte sich Spanien zum Paradies für dopingwillige Leistungssportler entwickeln. Die ersten Berichte über hilfsbereite Doktoren und gut ausgestattete Labore kursierten in der Leichtathletikszene schon Ende der Neunziger. Der Verdacht, dass sich dort ein Netzwerk etabliert habe, bestätigte sich spätestens vor einem Jahr, als der Polizei ein spektakulärer Schlag gegen das Drogenkartell gelang: Bei Razzien auf dem spanischen Festland, den Kanarischen Inseln und den Balearen stellte die Polizei zehn Tonnen illegaler Präparate sicher.
In Deutschland sprechen Anti-Doping-Kämpfer wie der Heidelberger Zellbiologe Werner Franke seit dem Prozess gegen den ehemaligen Sprinttrainer Thomas Springstein offen von der „Spanien-Connection“. Im März wurde der ostdeutsche Leichtathletikcoach in Magdeburg wegen des Dopings von Minderjährigen zu einer Bewährungsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Im Zuge der Ermittlungen kam heraus, dass Springstein regen Kontakt mit dem Madrider Arzt Miguel Angel Peraita hatte.
Bei einer Hausdurchsuchung hatte die Polizei eine Akte mit Faxen und ausgedruckten E-Mails beschlagnahmt. Mal informierte sich Springstein, Mail-Name „Top.speed“, über die Fortschritte beim Gen-Doping. Mal ließ er sich von Peraita, Mail-Name „Top Doc“, die Vorteile von Testosteronsalben oder Insulin-Injektionen erläutern.
Die Nationale Anti Doping Agentur (Nada) in Bonn hat Teile dieser brisanten Akte vorliegen. Nun sucht die Organisation nach Verbindungen zwischen Fuentes und Peraita, der in der Calle Fernández de la Hoz seine Praxis unterhält – nur wenige Schritte entfernt von der Wohnung Fuentes‘ und dem Blutlabor von Merino Batres. Denn Nada-Chef Roland Augustin glaubt fest daran: „Wir haben es hier mit einem komplexen Betrugssystem zu tun.“
Den Ermittlungen der Guardia Civil zufolge ist unter den verdächtigen Radrennfahrern neben Ullrich mindestens ein weiterer Deutscher: So wurde der Ansbacher Jörg Jaksche, 29, am 14. Mai mit versteckter Kamera gefilmt, wie er sich in Zimmer 605 des Madrider Hotel Puerta mit Fuentes getroffen hat. Neun Tage später fand die Polizei bei ihrer Durchsuchung drei Blutbeutel, die mit dem Datum des Treffens und dem Decknamen „Bella (Jorg)“ beschriftet sind. Die Fahnder ordnen Jaksche, dem 16. der vorjährigen Tour de France, den Code zu. Sie gehen davon aus, dass dem Deutschen bei dem Treffen das Blut abgezapft wurde, um es im Labor durch Zentrifugieren zu verdichten und später wieder zu injizieren.
Jörg Jaksches Name taucht außerdem auf einem Papier auf, das exakt auflistet, wie das spanische Radteam Liberty Seguros 2005 mit Dopingmitteln versorgt wurde. Laut dem Dokument 24 der Ermittler bekam Jaksche im Lauf des Vorjahrs Epo, Anabolika, Wachstumshormon und IGF-1 verabreicht – „kombiniert mit Blutabnahme, Blutzugabe und Analysen“.
Vom SPIEGEL um eine Stellungnahme gebeten, verwies Jaksche an den Sprecher seines Radrennstalls, der sich jedoch bis vorigen Freitagabend nicht äußern mochte.
Dass sich Eigenbluttransfusionen zuletzt augenscheinlich zum Massenphänomen unter den Profis entwickeln konnten, hat mehrere Gründe. In Zeiten reduzierter Werbe- und Sponsorenetats wird der Kampf um die Arbeitsplätze im Radgewerbe härter denn je geführt. Die meisten Fahrerverträge laufen nur ein, zwei Jahre. Ein Tour-Etappensieg garantiert praktisch den Job über die Frist hinaus.
Junge Fahrer wie der deutsche Tour-Debütant Markus Fothen, 24, können es kaum fassen, wie das Feld voranstürmt, sobald der Rennleiter die Flagge gesenkt hat zum Start: Man trainiere und trainiere, „und dann wirst du doch wieder abgehängt“.
Die Etappen werden immer schneller absolviert, im Vorjahr bolzte Lance Armstrong einen Schnitt von 41,65 Stundenkilometern. Da erscheint es nur logisch, dass mancher Fahrer von Mitteln träumt, die ihn besser vorbereitet in die Frankreich-Rundfahrt schicken – oder die während der drei Wochen eine schnellere Regeneration über Nacht ermöglichen.
Sich mit dem eigenen Blut zu stärken scheint ihnen eine elegante Lösung. „Spitzensportlern fehlt da völlig das Unrechtsbewusstsein“, klagt Nada-Chef Augustin. Man führe ja keine körperfremde Substanz zu, so laute deren Logik. Der oberste deutsche Dopingwächter bekam auch schon zu hören, dass Eigenblutdoping doch nichts anderes sei als die Eigenbluttherapie beim Heilpraktiker.
Ein fataler Irrtum: Beim Heilpraktiker wird dem Patienten eine geringe zuvor abgenommene Menge Blut in den Muskel injiziert. Die Anwender erhoffen sich durch die Methode, Immunprozesse im Körper anzuregen.
Beim Eigenblutdoping werden dem Athleten bis zu einem Liter Blut abgezapft. Wenn das durch Zentrifugieren gewonnene Konzentrat an roten Blutkörperchen in den Blutkreislauf zurückgeführt wird, lauern Gefahren wie Thrombose oder Embolie – tödliche Gefahren. Augustin: „Es ist ein Spiel mit dem Feuer.“
DETLEF HACKE, UDO LUDWIG, GERHARD PFEIL, MICHAEL WULZINGER
pompa pneumatica
10. Juli 2006 um 18:52 Uhr #63420610. Juli 2006 um 19:07 Uhr #634207passend dazu zeigt das ZDF morgen ab 21 uhr in frontal 21 eine doku. denen liegt der komplette bericht der guardia civil vor.
10. Juli 2006 um 19:46 Uhr #634208Anonym
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Frage mich schon die ganze Zeit, wie der gute Steini wohl die Rennräder Marke „Jan Ullrich“ noch verkaufen will. Die Existenzgründung dürfte voll in die Hose gehen, jedenfalls mit diesem Markenzeichen.
10. Juli 2006 um 20:29 Uhr #634209Quote:Original von RüCup
passend dazu zeigt das ZDF morgen ab 21 uhr in frontal 21 eine doku. denen liegt der komplette bericht der guardia civil vor.Ich glaube, die haben „nur“ die 38-seitige Zusammenfassung. Jedenfalls haben sie aus dieser heute Mittag zitiert und nebenbei auch den Manzano zu Wort kommen lassen.
Vive le Tour. Vive le cyclisme.
10. Juli 2006 um 20:31 Uhr #634210Quote:Original von Rouleur
Frage mich schon die ganze Zeit, wie der gute Steini wohl die Rennräder Marke „Jan Ullrich“ noch verkaufen will. Die Existenzgründung dürfte voll in die Hose gehen, jedenfalls mit diesem Markenzeichen.Müsste halt beim Preis etwas entgegenkommen.
Ob Merckx oder Ullrich, geladen waren sie doch alle.
pompa pneumatica
11. Juli 2006 um 6:37 Uhr #634211manzano`s aussage dass ullrich schon 2003 kontakt zu fuentes gehabt hatte wirft nun doch einen grossen schatten auf die karriere des deutschen.
für mich gibt es zwei lösungen :
1. ullrich tritt zurück vom radsport und streitet weiterhin alles ab. wenn es zu einem verfahren kommen sollte, könnte ullrich noch schlechter da stehen als jetzt schon, je nachdem was dabei herauskommt.
2. ullrich tritt zurück und gibt zu mit fuentes zusammen gearbeitet zu haben. begibt sich aber in eine art rolle „opfer vom einem system gewesen zu sein“ ( nennt aber sicher keine namen ).
ich denke damit wird sich ullrich im moment herumschlagen. soll ich es zugeben oder nicht ? und was meinen meine antwälte dazu, wenn ich es zugeben würde ( dopingklausel bei t-mobile ).
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